Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen by Uwe Tellkamp

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen by Uwe Tellkamp

Autor:Uwe Tellkamp [Tellkamp, Uwe]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783458174899
Herausgeber: Insel
veröffentlicht: 2009-12-31T23:00:00+00:00


Frauenkirche 2010

Es ist der Schatten des zugeschütteten Lebens, das mit einigen Zipfeln hier und dort noch aus den Planierungen ragt und das Jetzt mit Altertum sprenkelt, gleichzeitig genügt, um die Unterseemasse des Korallenstocks Dresden zu ahnen: So weckt der Schriftzug »Go-Kart-Bahn«, der die ehemalige Lastwagenhalle umschult, in mir die Erinnerung an die Rennen auf dem Schleizer Dreieck und dem Sachsenring, wo aufgemotzte Trabis, in kleinen Meuten, kläffend wie Spitze, eine heute fast verschwundene Hunderasse, auf lodernden Pneumants die Rennlegenden Paris–Dakar und Avus in die ostdeutsche Provinz übersetzten (und dadurch vielleicht haltbar aufbewahrten: Hauptstädte vergessen rasch, Peripherien nicht); an die Bewunderung, die wir den Gespannfahrern um Arsenius Butscher zollten, obwohl sie in der leicht parodistischen Montur aus Eierhelmen und Brillen, die uns an die der Schweißer und die Edgar-Wallace-haften schwarzen Froschgläser zum Schutz vor den UV-Strahlen der Höhensonne denken ließen, mit schweren BMW-Maschinen und Beiwagen-Torpedos ihre Runden gezogen hatten. Wir hörten unserem Trainer zu, wenn er uns von Freddy Kottulinsky und János Drapál erzählte und das Geräusch nachahmte, das eine Phalanx aus Rennfahrerassen auf 250-Kubikzentimeter-MZ, Motorradwerke Zschopau, beim Durchstarten an die Start-und-Ziel-Tribüne des Sachsenrings drosch. All die fast verschwundenen Sportarten, die es in den Siebzigern und Achtzigern noch selbstverständlich gab, kommen mir wieder in den Sinn, wenn ich den wie um einen Zyklopinnen-Lockenwickler gedrehten Bug der Fleischfabrik, die Woge aus kaputten und mit Sperrholz vernagelten Fenstern betrachte: Ringer in der Werner-Seelenbinder-Halle, Prenzlauer Berg, von suppigem Scheinwerfergelb beschwitzt, das glatte, bärenhafte Klatschen der Leiber in den eigenartigen, zu schmalen Latzen gegabelten Trikots; Steherrennen mit Spezialmotorrädern und Fahrern, die an den Ausleger-Rollen der Schrittmacher festgeleimt zu sein schienen, schreiend vorangepeitscht von naß gekämmten Aficionados auf den Radrennbahnen in Forst und Weißensee und der Leipziger Alfred-Rosch-Kampfbahn, wo es nach Körperwahrheiten und Bier roch und wo sich, für meine Erinnerung, die Anfeuerungsrufe des Publikums mit der hysterisch gedengelten Glocke vor der letzten Runde mischen; Speedwayfahrer auf dem Paul-Greifzu-Motodrom von Stralsund oder dem Lausitzring, Diethelm »Otto« Triemer, der, ein Tuch vor dem Mund, einem Tuareg glich und gegen drei weitere Stammeskrieger das von Furchen und Buckeln durchzogene Oval pflügte, bevor es sich wie ein geplatzter knochentrockener Bovist in Staub auflöste; Pisten mit einem in der Hitze, die in meiner Erinnerung die Stadienmauern zu Schädelstätten grillt, wie Diamantpulver glitzernden Belag, auf dem die Fahrer gegen den Uhrzeigersinn wie auf Schleifpapier kreisten und der sich bei Regen in schwarzen Brei verwandelte, in dem die brüllenden, methanolbetankten, Kettensägen-Salven ausknatternden, in die Kurven gestemmten Jawa-Maschinen mit den grobstolligen Reifen wie gehetztes Wild im Moor versackten. Der wache Glanz, den ein Jockey vor dem Satteln auf einer der Rapido-Waagen hatte, die Müdigkeit, wenn das Rennen vorbei, der Totalisator geschlossen und der Abwieger noch beim Einsammeln der Bleistücke war, die zum Gewichtausgleich dienten; die prügelgegerbte, wursthaft diesseitige und stoische Präsenz der Boxersandsäcke; auf Fotostrecken im »Deutschen Angelsport« im Wurf erstarrte Frauen und Männer mit Germina-Trainingsanzügen und Nummernleibchen, beaufsichtigt von einem Kampfrichter, der, einsam wie auf einer Eisscholle, als wäre rings um ihn ein Büro weggebrochen, in windweiter Rasenfläche auf einem Stuhl an



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